Integratives Entwerfen
Berlin - After the Party
Berlin ist eine Stadt der Extreme, eine Stadt ohne Mittelgrund. Ihre unstete Entwicklung wechselt zwischen rasendem Tempo und lähmendem Stillstand. Als verspätete Metropole vollzieht sie in kürzester Zeit, was anderswo Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauert, um anschließend wieder zu erstarren. Episoden von Euphorie folgen Depressionen: vom Jubel beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs zur Niederlage, vom Rausch der zwanziger Jahre zur Weltwirtschaftskrise, von der Machtergreifung der Nationalsozialisten zur Kapitulation, von der Freude über den Mauerfall zur Ernüchterung der neunziger Jahre.
In seiner Wurzellosigkeit schwankt Berlin zwischen nüchternem Pragmatismus und radikaler Ideologie. [ … ] Durch die Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen entwickelt sich die Stadt zu einem Vektorraum, in dem jedes Regime die Koordinaten, Richtungen und Zentren aufs Neue verschiebt, wie es die Geschichte der Berliner Monumente und Magistralen zeigt. Gerade weil Berlin stets neuen Ordnungen unterworfen wurde, ist die Stadt ein Manifest von Paradoxien, Transformationen und Instabilitäten.
Berlin_Stadt ohne Form, Strategien einer anderen Architektur - Philipp Oswalt
In this city without style, without tradition, one was conscious above all of everyone’s sense that he or she was living in every way from day to day around a kind of zero. The strength and the weakness of the Berliners was their feeling that they could begin a completely new kind of life – because they had nothing to begin from. - Stephen Spender
International, offen, liberal: Berlin galt lange als Sehnsuchtsort für Künstler, Kreative und Zeithaber aus aller Welt, die Mieten waren niedrig, der Erfolgsdruck gering, es gab Platz genug für alle. Doch diese Berliner Mythen sind kaum noch mehr als ein fernes Echo. Die große Feierei scheint vorbei – Welcome to Berlin, After the Party!
1989 fiel die Mauer, und damit begann der Ausverkauf der Stadt. Die damit einhergehende Verdrängung und Gentrifizierung hat nicht nur die städtische Struktur, sondern auch das soziale Gefüge nachhaltig verändert. Die doppelte Stadt ist seit jeher durch eine intrinsische Dialektik gekennzeichnet. Neu und alt, leer und urban, gemeinschaftlich und individuell. Doch gerade diese Gegensätzlichkeit ist immer mehr umkämpft.
Unterschiedliche Stadtkonzepte, Manifeste und Ideologien haben ein großes Repertoire an Wohnformen und architektonischen Experimenten in Berlin hinterlassen. Internationale Bauausstellungen, Wohnsiedlungen der Zwischenkriegszeit sowie die konkurrierenden städtebaulichen Modelle von Ost und West, in denen über den sozialen Wohnungsbau Zukunftsvisionen des Zusammenlebens erprobt wurden.
Ein heterogenes Berlin ist komplex, fragil und lebenswert, durch die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen entsteht ein unvergleichlicher kultureller Reichtum. Um die Einzigartigkeit Berlins zu bewahren, muss Architektur und Städtebau dialogisch betrieben werden und einem über Kapital- und Konsuminteressen hinausgehenden Anspruch folgen.
Das Kaufhaus, ein Relikt unserer Konsumgesellschaft, ein Sinnbild des kapitalisierten und amerikanisierten Westdeutschlands, exemplarisch durch Shopping Malls wie Galeria Karstadt, steht unter Druck. Diese „Retail Apocalypse“ wurde durch Online-Konkurrenz, gesamtwirtschaftliche Krisen, hohe Kosten, Covid-19 sowie die Signa Pleite weiter vorangetrieben.
Doch diese zukünftigen Ruinen die bereits leer stehen oder dies in Zukunft werden, stellen eine wesentliche räumliche und bauliche Ressource in unseren Städten dar: Die Galeria Berlin Hermannplatz, das Karstadt Gebäude am Leopoldplatz und das Park Center Treptow sind die Berliner Kaufhäuser deren Potential wir hinsichtlich ihrer Umnutzung testen werden, um Prototypen für neue, radikale Formen des Zusammenlebens zu schaffen.
Das Ziel des Semesters wird sein, in großem Maßstab zu denken und in diesen Gebäudetypen gemeinwohlorientierte Nutzungen, bezahlbaren Wohnraum sowie alternative Wohnformen nachhaltig zu realisieren. Statt Abriss und kurzlebiger Zwischenlösungen setzen wir auf langfristiges Umdenken und sozial gerechte Lösungen. Hierfür ist eine genaue Analyse der Bestandes und der Umgebung grundlegend, sowie eine aktivistische Sicht und Aspekte soziologischer Forschung. Welche Formen des Zusammenlebens jenseits normativer Standards und neoliberaler Aufwertungskonzepte sind möglich? Welche Formen von Wohn- und Mischnutzung lassen sich in obsoleten Bauten neu denken – insbesondere in Architekturen, die ursprünglich nicht zum Wohnen vorgesehen waren?
Zusammen mit TELEINTERNETCAFE und mit Inputs von Experten im Kontext Berlins erhalten wir im Semester konkrete Einblicke und diskutieren aktuelle Entwicklungen.
12h, 15 ECTS
KICK-OFF
Do 02.10.2025 – 9 UHR
mit Portfolio

